Interkultur Germersheim e.V.

Wortgewalt und Tatgewalt

An dieser Stelle eine Auszug aus einer Rede von Klaus Bade vom Sachverständigenrates deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR), in dem der Publizist in bemerkenswerter Klarheit auf die aktuellen Gefahren von Rechtsradikalismus, Rechtsextremismus und neuem Nationalismus eingeht.
Auszüge aus dem Statement des Gründungsvorsitzenden (2008-2012) des SVR, Prof. em. Dr. Klaus J. Bade, auf dem anlässlich seines Abschieds vom SVR veranstalteten Symposium ‚Migration, Integration, Politik und wissenschaftliche Politikberatung‘, Berlin 30.8.2012:
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Zwei mahnende Ermutigungen möchte ich meinen Kolleginnen und Kollegen abschließend mit auf ihren weiteren Weg geben, den ich nur noch über Google alert verfolgen kann. Beide hängen mit politischen Fragen zusammen:
Der erste Punkt gilt der erfolgreichen Umsetzung des von mir in die SVR-Grundidee eingebrachten strategischen Konzepts, das ich ‚kritische Politikbegleitung‘ genannt habe:
Danach vermittelt der SVR seine Botschaften an Politik und Behörden zunächst auf dem Weg über die Öffentlichkeit, d.h. über die Medien. Diese Strategie hat den Voten des Sachverständigenrates von Beginn an nachhaltige öffentliche und auch politische Wirkung verliehen.
Die kritische Politikbegleitung hat freilich auch Risiken; denn die Positionierung gegenüber der Politik in den Medien ist auf eine Balance zwischen Provokation und Ausgewogenheit angewiesen, die den Dialog mit der Politik zwar provoziert, aber auch möglich macht.
Kommunikative Ausgewogenheit kann auf Kosten von wissenschaftlicher Klarheit gehen. Deshalb war und ist mir in meinem Begriff der ‚kritischen Politikbegleitung‘ das durchaus produktiv gemeinte Wort ‚Kritik‘ immer wichtiger als das Wort ‚Begleitung‘; denn der gefährliche Sog des Machtfeldes Politik kann dahin führen, daß Wissenschaftler am Ende wie Politiker argumentieren und Kompromisse aushandeln, statt sich kompromisslos forschungsbasiert zu positionieren. Ich wünsche Ihnen, daß es auch weiterhin gelingen möge, hier nötige Balance zu halten zwischen kritischer Provokation und vermittelnder Ausgewogenheit.
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Mein zweiter Punkt ist ernster und deshalb auch länger: Rechtsradikalismus, Rechtsextremismus und neuer Nationalsozialismus kristallisieren zentral an Themenfeldern, für die der SVR zuständig ist: Aggressionsobjekte sind Migration, Integration und Minderheiten, hier besonders der Islam und die in Deutschland heute mehr als vier Millionen Menschen umfassende Gruppe der Muslime.
Die Einwanderungsgesellschaft hat auch in Deutschland einen düsteren kommunikativen Untergrund. Hier tummeln sich viele Angstgetriebene, die in der rasanten Eigendynamik der Einwanderungsgesellschaft ihren Halt zu verlieren fürchten und nach Schuldigen suchen für ihre ökonomischen und sozialen, kulturellen und mentalen Absturzängste. Hier wabert seit langem ein minderheitenfeindlicher völkischer Sumpf, dessen argumentative Schlinggewächse immer gefährlicher und sichtbarer wurden. In der Vergröberung der Argumente von Integrations- und Islamkritik tobt in millionenfach angeklickten Internetblogs ein gefährlicher Kampf um Deutungshoheiten. Er bedroht oft auch diejenigen, die sich diesen Strömungen kritisch entgegen zu stellen suchen.
Mir ist das auch so gegangen – stellvertretend für den SVR, weil der SVR, seinen Statuten entsprechend, mit ‚einer Stimme‘ spricht, mit der des Vorsitzenden nämlich, der deshalb immer eine einigermaßen exponierte Stellung in der öffentlichen Diskussion hat. Und ist kein gutes Gefühl, sich im Zielfernrohr gewaltbereiter oder doch zur Gewalt animierender Agitatoren zu bewegen und bei öffentlichen Auftritten polizeilichen Saalschutz oder gelegentlich sogar Personenschutz aufgedrückt zu bekommen.
Wir hatten, empirisch gesichert, schon in unserem ersten Jahresgutachten ‚Einwanderungsgesellschaft 2010‘ die Einwanderungsgesellschaft als informiert, belastbar und verhalten integrationsfreudig beschrieben. Das war ein wissenschaftlich fundiertes Gegenbild gegen das vorwissenschaftliche, von der publizistischen Desintegrationsindustrie intonierte skandalisierende Gejammer auf hohem Niveau über die angeblich in Deutschland flächendeckend ‚gescheiterte Integration‘. Deswegen rückten der SVR und vor allem sein Vorsitzender und Sprecher alsbald ins Feindbild von Desintegrationspublizistik, ‚Islamkritik‘ und des ihr hörigen kommunikativen Untergrunds ein.
Der publizistische Zangenangriff auf mich, stellvertretend für den SVR, hatte mit dem von Cem Özdemir schon karikierten, ebenso dummdreisten wie infamen und auch persönlich beleidigenden Artikel „Professor Bade gibt den Anti-Sarrazin“ der Skandalpublizistin Necla Kelek in der FAZ vom 9.5.2011 begonnen. Ich habe der streitsüchtigen Verfasserin, in Vertretung des SVR und deshalb bemüht ausgewogen, an gleicher Stelle geantwortet (‚Ich sitze keinem Politbüro vor‘, FAZ, 18.5.2011). Viele haben sich gewundert, daß ich auf Keleks Pöbelei so betont milde reagiert habe, ausgewogen eben.
In Kürze aber komme ich – in einem ganzen Heft der (auch im Netz abrufbaren) IMIS-Beiträge – ausführlicher in eigener Sache und deshalb durchaus weniger ausgewogen auf das Denunziationskartell Kelek, Sarrazin & Co. und auf die im kommunikativen Untergrund operierenden Internet-Pranger zu sprechen. Dabei geht es in einem Kapitel auch um die Frage nach dem Zusammenhang von „Wortgewalt und Tatgewalt“, den Heiner Geißler schon angesprochen hat, der einen Entwurf meines Manuskripts kennt.
Die Kelek-Attacke wurde in der Agitation der rechtsradikalen Presse gegen den SVR-Vorsitzenden als „Multikulti-Einflüsterer“ und „einflußreichsten Propagandisten einer Einwanderungspolitik“ (Junge Freiheit, 30.5.2011) fortgesetzt und noch grobschlächtiger in den Informationen und Kommentarschleifen der Internet-Blogs verlängert. Die Folge waren viele Hass- und Schmähmails, aber auch direkte Bedrohungen aus dem kommunikativen Untergrund, die das Landeskriminalamt alarmierten.
Ein Tor, der glaubt, daß das nur Zufall war: Diese Netzwerke und die darin blitzartig umverteilten geistigen Marschbefehle aber durchschaut nur wer die Informationsstukturen im Internet und vor allem im kommunikativen Untergrund kennt. Dazu gehört auch der in der Deutschland mächtigste und einflußreichste denunziative Internet-Pranger ‚Politically Incorrect‘ (PI). Er greift über die deutschen Grenzen hinaus und ist schon lange auch eine ‚Bewegung‘ geworden, die mit ihren ‘Ortsverbänden‘ das Land überzieht.
Sie wirkt oft in stiller Kooperation mit den Netzwerken und Informationsdiensten von anderen islamophagen und rechtsradikalen Parteien und Verbänden wie ‚Pro Deutschland‘ und ‚Pax Europa‘ zusammen. Ihre User sabotieren mitunter systematisch und vorverabredet öffentliche Veranstaltungen von wissenschaftlichen angeblichen ‚Schönrednern‘, ‚Menschenfreunden’ und besonders ‚Muselfreunden‘ (Moslemfreunden) zu den Themen Migration, Integration und Islam.
Wenn man bei dieser Agitation – nicht etwa allein gegen den Islam, sondern auch gegen die in den Kommentarschleifen der Blog-Pranger oft verächtlich ‚Musels‘ genannten Muslime – den Begriff ‚Musels‘ durch ‚Ostjuden‘ ersetzen würde, könnte man sich als Historiker sehr wohl an die Agitation gegen diese zugewanderte Minderheit und überhaupt an den sich immer mehr radikalisierenden Antisemitismus in der Spätphase der Weimarer Republik erinnert fühlen. Was folgte, ist bekannt.
Aber die Geschichte verläuft nicht linear und sie wiederholt sich auch nicht in gleicher Form. Ihre Kenntnis macht deshalb auch nicht ‚schlau für ein andermal‘, wie Jacob Burckhardt meinte, sondern, bestenfalls, ‚weise für immer‘. Dem entgegen steht das Wort von George Santayana: ‚Wer sich der Vergangenheit nicht erinnern will, ist dazu verurteilt, sie noch einmal zu erleben.‘ Die Wahrheit liegt in der Mitte: Die Geschichte wiederholt sich nicht in gleicher – aber vielleicht in anderer Form.
Deutschland könnte z.B. in den Weg anderer europäischer Länder einbiegen mit einem starken Wachstum völkischer, von Demagogen geführter Strömungen und Parteien, die hierzulande bislang noch im vorhandenen Parteienspektrum aufgefangen werden konnten. Vielleicht brauchen diese Strömungen auch in Deutschland nur noch ein größeres Sammelbecken und einen charismatischen Führer, um gefährliche Sprengkraft zu entfalten.
Das wäre aber nur scheinbar eine Art ‚Normalisierung‘ des deutschen Wegs in Europa; denn sie stünde im langen Schatten einer düsteren Geschichte, die sich gerade in Minderheitenfragen deutlich von derjenigen anderer moderner europäischer Einwanderungsländer unterscheidet. Also wehren wir den Anfängen. Sage keiner hinterher keiner, man habe, wieder einmal, die schleichende Gefahr nicht erkennen können.
Der Massenmord in Norwegen vom Juli 2011 und die im November 2011 aufgedeckten Serienmorde des Nationalsozialistischen Untergrunds in Deutschland haben vielleicht nur eine Atempause bewirkt. Politik hat, soweit ich sehe, bislang wenig daraus gelernt – vor allem nicht, daß es indirekte Ursache-Folge-Zusammenhänge zwischen Wortgewalt und Tatgewalt geben kann.
Politik und Behörden müssen den Kampf an dieser schmutzigen Front verstärken. Öffentliche Trauerarbeit, fleißige Kommissionssitzungen, ein paar Rücktritte, Razzien mit ein paar lokalen Vereinsverboten und possierliche Reformen an dem föderalen Monster Verfassungsschutz sind dazu nicht genug. Und die aktuellen ‚Vermißtenanzeigen‘ des in Sachen Integrationspolitik als Gesellschaftspolitik von einem Fetteimer in den anderen tretenden Bundesinnenministeriums sind exakt das Gegenteil der vertrauensbildenden Maßnahmen, die wir gerade jetzt so dringend brauchen.
Außerdem sollten wir nicht immer erst dann, wenn es ohnehin zu spät ist, zur Tataufklärung nämlich, nach physischen Fingerabdrücken suchen. Wir sollten vielmehr rechtzeitig, zur Tatprävention nämlich, nach geistigen Fingerabdrücken suchen. Das gilt auch für minderheitenfeindliche und damit klar verfassungsfeindliche Internet-Blogs, die mit fadenscheinigen Begründungen lange vom Verfassungsschutz unbeobachtet blieben oder es noch immer sind – im Gegensatz zu meist harmlosen islamischen Moscheevereinen.
Hätte diese Prävention funktioniert, dann hätte der für mindestens 10 Morde und noch mehr Raubüberfälle verantwortliche nationalsozialistische Untergrund wohl weniger mörderische Chancen gehabt.
Mehr noch: In den beiden Jahrzehnten seit der Wiedervereinigung, von 1990 bis 2010, hätte es (im Gegensatz zur rechtsbegrifflich geschönten Kriminalstatistik in Deutschland, die ‚nur‘ 69 Todesopfer rechter Gewalt zählt) wohl kaum die mindestens 149 Todesopfer rechtsradikaler Gewalt, die um ein Vielfaches größere Zahl von bei solchen Verbrechen Schwerverletzten und die noch viel größere Zahl von traumatisierten und oft für ihr Leben psychisch zerbrochenen Opfern gegeben, die meist nach wie vor mit ihrem Leid und ihrer Angst allein geblieben sind; ganz abgesehen von den immer wieder fahrlässig beschönigten östlichen No-Go-Areas für erkennbar aus anderen Kulturen stammende Zuwanderer.
Das alles muß nicht ein zentrales Aufgabenfeld des Sachverständigenrates werden. Aber niemand kann sagen, das alles habe nichts mit den Titelbegriffen des Sachverständigenrates ‚Integration und Migration‘ zu tun.
Wie hieß doch gleich das Startmotto der früheren Zwickauer Kampfhundefreundin und späteren nationalsozialistischen Mörderbraut Zschäpe: „Zuerst müssen mal die Ausländer weg!“. Wohin das führte, weiß heute jeder.
Ich ermuntere deshalb meine Kolleginnen und Kollegen im SVR dazu, Politik und Behörden auch in diesem Grenzfeld des Themas Integration und Migration zu mehr Engagement zu drängen und nicht zu warten, bis es, vielleicht wieder einmal, zu spät geworden ist.
Das wäre dann der Fall, wenn minderheitenfeindliche und damit verfassungsfeindliche Internet-Blogs so mächtig geworden sind, daß sie mit ihrer bekannten Warnung, durch amtliche Beobachtung ‚die rote Linie‘ zu überschreiten, staatliche Organe zu scheuem Zurückweichen veranlassen können. Das wäre in einer Mediendemokratie Selbstmord aus Angst vor dem Tode. Die Freiheit der Medien ist in der Mediendemokratie ein hohes Gut. Umso mehr muß sie gegen Missbrauch geschützt werden.
Ich jedenfalls werde meinen Kampf auch an dieser schmutzigen und gefährlichen Front weiter fortsetzen, und zwar durchaus weniger ‚ausgewogen‘, wie Sie vielleicht an einigen Interviews schon gemerkt haben und demnächst aus einer größeren Veröffentlichung noch deutlicher erkennen werden.
Damit bin ich am Ende mit meinem kleinen ‚politischen Testament‘ als Gründungsvorsetzender des Sachverständigenrats.
Ich hoffe, daß sich unsere nun auseinander tretenden Engagements in den Feldern Integration und Migration weiterhin ergänzen mögen im gemeinsamen Interesse an Minderheitenschutz, an kultureller Toleranz und sozialem Frieden in der Einwanderungsgesellschaft in unserem Land.
Ich halte Ihnen für Ihren weiteren Weg beide Daumen und sage zum Abschied leise Servus. Vielen Dank.